Ozeansegeln. Reiseaufzeichnungen

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gewitter
seit neun tagen sind wir inzwischen unterwegs, segeln die polnische küste entlang. bisher kein impuls zu schreiben. gestern dann aber einschneidendes, heftiges gewitter, ein riss im großsegel, und ein riss im ablauf der ereignisse.

sonnenschein, diesig, warm

der wetterbericht hat für den tag schwachen wind angekündigt, rechtdrehend von südost auf west, also günstig für uns. regen am späten nachmittag, aber ohne besondere windveränderung. also legen wir früh ab. um kurz nach sieben sind wir aus dem hafen raus und haben die segel gesetzt. mit dem gennaker segeln wir bei sehr schwachem wind aus südwest mit zwei bis drei knoten längs der küste. einige stunden später schläft der wind ein, wir motoren eine weile, dann dreht der wind auf ost. erstes zeichen. wir setzen die genua und das groß, müssen kreuzen. ich mokiere mich über den wetterbericht und bin gleichzeitig verunsichert angesichts dieser unvorhergesagten winddrehung. vier kreuzschläge später hebt sich hinter uns, in lee, also im westen, der dunst vom meer ab und wandelt sich zu einer langgezogenen wolke, die sich vom land aus einmal quer über den horizont bis weit hinaus auf see zieht. ich filme das und denke, wow, da hebt sich der dunst ab. tags zuvor habe ich noch über gewitter gelesen, und weiß daher theoretisch um die böenwalze, die ein gewitter vor sich her schiebt. frage mich, ob diese lange wolke wirklich nur dunst ist oder ein gewitter ankündigt. zweites zeichen.
in lee wird es stetig dunkler. die lange wolke kommt weiß leuchtend umso besser zur geltung. von ferne hören wir donner. drittes zeichen.

erste böenwalze

während sich die dunkelheit in lee weiter vertieft und langsam zu der sprichwörtlichen schwarzen wand wird, wandert die lange weiße wolke gegen den wind auf uns zu. der untere rand ist ausgefranst, inzwischen ist klar, dass das kein dunst ist, sondern eine böenwalze.
hinter uns segelt noch ein anderes boot, und ich versuche zu erkennen, ob sich bei denen etwas zeigt, aber wir sind zu weit entfernt. also auf starkwind vorbereiten. wir reffen das großsegel ins zweite reff, bergen dann die große genua. noch bevor wir die kleine fock setzen können, ist die walze da. mit wucht trifft die luft aufs eingereffte groß, aimé legt sich weit über. ich falle ab, fiere das segel. dann setzen wir die zwanziger fock. der wind hat schlagartig um neunzig grad auf nord gedreht. mit halbem wind laufen wir unter der kleinen besegelung sechs knoten. nach der ersten böe weht es jetzt mit fünf beaufort, und ich denke noch, wenn das so bleibt, sind wir ziemlich bald da.
nördlich von uns entlädt sich ein kleines gewitter. inzwischen ist klar, dass das hier keine durchziehende gewitterbö ist, sondern eine ganze gewitterfront. viertes zeichen.
im westen wird es immer dunkler. wir können die wolke nicht sehen, die sich da auftürmt, weil die ausläufer schon über uns sind. die sonne ist weg, im dunstigen zwielicht ist die nahe küste nur noch schemenhaft sichtbar, der andere segler hinter uns ist verschwunden.
beim blick nach hinten sehe ich eine weitere walzenwolke, nur noch angedeutet, weil hier keine sonne mehr hinfällt. frage mich, ob das eine böenwalze ist? obwohl wir doch schon eine hatten? ich entscheide mich für die hypothese, dass aus dieser wolke donner, blitze und regen kommen, dass der wind aber bleibt. und also die besegelung so bleiben kann. eine fehlentscheidung.
zehn minuten später ist diese wolke fast da, und ich sehe, wie das wasser hinter uns schwarz wird. starkwind. l. ist sofort am mast und fiert das großfall, um das segel ins dritte reff zu setzen, aber zu spät. bevor sie das reff dicht setzen kann, ist die walze da.

sturm, finsternis

wie vorher trifft uns die luftmasse mit wucht, diesmal aber mit sturmstärke. fast gleichzeitig mit dem wind peitscht starkregen in die segel und uns ins gesicht. die sicht verringert sich auf wenige meter, sofort steilt sich eine hohe windsee auf. aimé legt sich weit über, die leeseite des decks wird unter wasser gedrückt. der wind reißt das großsegel wieder nach oben. l. liegt fast auf dem mast, so weit krängt das boot. das großsegel flattert brutal im wind, will nicht nach unten. der sturm ist so laut, dass wir uns nur noch durch zeichen verständigen können, alle gebrüllten worte werden auf dem weg zwischen cockpit und mast übertönt.
l. wir wechseln die positionen, l. hält das boot auf kurs, ich zerre das großsegel runter und binde es auf den baum. endlich können wir abfallen.
nur mit dem vorsegel und vor dem wind segelt das boot stabil, ist der druck deutlich weniger. die sturmbö hat den regen durchs offene lukenschott ins boot gedrückt, drinnen ist einiges nass. auch den kartentisch hats erwischt. aber der beweist, dass er gut gebaut ist. innen ist er trocken geblieben. und die maus zur bedienung des plotters ist wasserdicht, in weiser voraussicht. ich wische notdürftig alles halbwegs trocken. eine halbe stunde später flaut der wind plötzlich wieder ab, lässt der regen nach, lichtet sich die finsternis, kommt der himmel wieder zum vorschein.

beim bergen des großsegels habe ich mit tunnelblick ausgefranstes segeltuch registriert. nach der sturmbö checke ich das segel nochmal genau. in der tat hat die verspätet eingeleitete bergeaktion mit dem flattern uns erstmal das großsegel gekostet - auf höhe der dritten segellatte zieht sich ein riss vom achterliek entlang der lattentasche. die segellatte hat der sturm mitgenommen. und auch die oberste segellatte hat es aus der tasche geschüttelt, obwohl das segel an dieser stelle ganz geblieben ist.
nur mit dem kleinen vorsegel sind wir jetzt zu langsam. das wäre nicht schlimm, wir machen immer noch okay fahrt, knapp vier knoten. wenn nicht im westen das nächste gewitter aufziehen würde. das großsegel können wir nicht mehr setzen, und ein größeres vorsegel wollen wir nicht setzen, weil die nächste sturmbö schon im anzug ist. ich starte den motor. mit der kleinen fock und motorunterstützung laufen wir vor dem wind sechs knoten. wir wollen so schnell wie möglich in den hafen, am besten vor dem nächsten gewitter.

die geringe sicht in der bö hat uns den anblick von blitzen erspart, während wir mit dem segel kämpften. aber jetzt, während die nächste wand anzieht, sehen wir die blitze, ist der donner lauter und näher als vorhin. ein innensteuerstand wäre schön. nach dem wind hab ich vor allem schiss vor einem blitzeinschlag während wir an deck sind. unter deck sind wir sicher, der stahlrumpf leitet den blitz gut ab. aber oben fühlt es sich nicht gut an.
kurz entschlossen setze ich das notruder auf. es ist so konstruiert, dass es nicht von außen zugänglich ist, weil das vierkantroher, das aufs ruder geschweißt ist, einen kleinen schlag hatte. was ich vorher als manko empfunden habe, ist jetzt optimal - ich sitze in der achterkabine und steuere von dort aus das boot. durch den gang sehe ich den monitor vom kartenkplotter und kann so das boot auf kurs halten. lea ist im vorschiff und hält ausschau durch die fenster. das vorsegel haben wir geborgen. die nächste bö trifft uns besser vorbereitet. wieder peitscht starker regen das schiff, zwischendurch knallen fingerdicke hagelkörner aufs deck und auf die luke. aber drinnen sind wir geschützt, das boot lässt sich leidlich gut auf kurs halten.

blitz

als das schlimmste vorbei ist, setzen wir uns wieder raus. unten sind die sinne doch noch stärker eingeschränkt als oben, und das eine oder andere schiff ist in dieser gegend eben schon auch unterwegs. über uns lichtet sich schon der himmel, die küste ist jetzt gut erkennbar, sogar die hafenmole sehen wir schon, und ein ausflugsschiff, das wie wir auf den hafen zusteuert. das gewitter zieht ab und die nächste wand ist noch ein stück entfernt, sodass wir es vorher schaffen könnten. als plötzlich ein einzelner blitz, wie aus heiterem himmel, kurz vor uns, zwischen uns und dem ausflugsboot, ins wasser fährt, mit einem zischenden geräusch und einem unmittelbar folgenden knall. fuck.
wir sehen schon die kirche, die an land ihren hohen turm erhebt. auf dem turm thront ein kreuz, und ich schicke, ganz entgegen meiner atheistischen gewohnheiten, ein stoßgebet gen himmel.
es bleibt ein vereinzelter blitz. kurz vor der einfahrt erreicht uns dann die nächste regen- und sturmwand. aber das schreckt uns jetzt nicht mehr. wir packen leinen und fender aus, bereiten das boot vor, legen uns in eine der fingerstegboxen, neben eine wunderschöne mahagoniketsch. das anlegen ist inzwischen fast routine, und trotz widriger bedingungen - starker seitenwind und kurze stege, die nur knapp über unsere mittelklampe hinaus reichen - ist das die einfachste übung an diesem tag.
wir sind erschöpft. langsam fällt die anspannung ab. und wie eine kleine ironie scheint die gewitterfront jetzt durchgezogen zu sein, die sonne kommt. wir hängen die nassen sachen raus. kauen rosinen und nüsse. spannen dann die fallen ab. und stehen beide nochmal am mast. was ist uns da gerade eben passiert? hallo? lagen wir gerade wirklich bei steilen wellen und sturm, blind von regen, wind und finsternis, halb auf dem mast und zerrten das zerrissene segel runter, um schlimmeres zu verhindern?

danach - lehren

während wir auf den hafen zufuhren und die dritte wand aufzog, die uns dann erst im hafen traf, kam der gedanke: will ich das überhaupt? will ich so eine wetterlage und so eine situation, so eine beispiellose doppelte böenwalze irgendwann nochmal erleben? nein. will ich nicht. und was ist die konsequenz, wenn ich das auf keinen fall nochmal erleben will? aufgabe. ende. jollensegeln in landnähe.
heute, einen tag später, haben wir schon überlegt, was das problem war, was wir anders machen müssen, und was dem boot noch fehlt, um solche situationen gut zu überstehen.

  • vorausschauender reffen. ich habe noch nie so ein heftiges gewitter erlebt. jetzt weiß ich, dass schon vor der ersten böenwalze das groß ins dritte reff kommt und die sturmfock gesetzt wird.
  • sobald wir diese reise beendet haben werden routinen entwickelt: gewitter, aber auch andere extremsituationen wie starkwind oder sturm. dazu gehört, herauszufinden, welche strategie mit dem boot gut geht. das kann auch bei weniger wind ausprobiert werden: beiligen mit sturmfock und groß im dritten reff; beiliegen nur mit groß im dritten reff; beiliegen mit sturmfock und trysegel, beiliegen nur mit trysegel, beiliegen ohne segel; welchen winkel zum wind schafft das boot vor topp und takel.
  • die sturmbö war vielleicht auch ein vorgeschmack auf noch heftigeres. was also noch hermuss: ein trysegel.
  • autopilot einbauen, das steuergerät an den navigationstisch, sodass das boot auch ohne notruder von innen gesteuert werden kann.
  • ais-empfangsgerät besorgen und an den navi-rechner anschließen, damit bei schlechter sicht zumindest die großen schiffe auf dem monitor erscheinen.
  • perspektivisch: ein radargerät, um auch die kleineren boote und die seezeichen in der näheren umgebung von unten zu erfassen.

abgesehen vom riss im großsegel, der auf meine fehlentscheidung zurückgeht, hat aimé diese feuerprobe unbeschadet überstanden. mein vertrauen in das boot ist ein gutes stück gewachsen. und ein bisschen stolz bin ich, bei aller demut, auch auf uns, die crew. abgesehen von meiner fehlentscheidung. wir haben in der extremsituation selbst gut funktioniert und können das boot zu zweit gut händeln. innen war alles so gut gestaut, dass trotz extremer schräglage bis auf ein buch, einen schreibblock, ein schreibheft und einen teller, der aus dem waschbecken flog, alles an seinem platz geblieben ist. damit hat sich auch bewährt, dass ich beim bau der schränke an extreme schräglage gedacht habe und die schlingerleisten der schapps und ablagen zehn zentimeter hoch sind.

vorhin haben wir also das großsegel abgeschlagen und eingepackt. glück ist, dass wir das neue, das ich vor einigen monaten gebraucht gekauft habe, dabei haben. die reparatur des alten segels kann also bis greifswald warten.
jetzt liegen wir erstmal sicher im großen seehafen von wladyslawowo. hier ist der nördlichste punkt polens, danzig ist mit dem boot noch eine tagesreise entfernt. der zug braucht zwei stunden. das haben wir schon gecheckt, weil wir es mit dem boot nicht mehr bis danzig schaffen. es weht heute aus west mit sechs beaufort, in böen acht, schauer- und gewitterböen sind angekündigt und ziehen auch schon durch. die aktion gestern hat auch nicht wenig kraft gekostet, körperlich und seelisch. bis mindestens donnerstag soll das wetter so bleiben, und weil wir in acht tagen zurück in greifswald sein wollen, fällt die letzte etappe dieser reise aus. aber auch wenn das ziemlich an mir nagt ist das die richtige entscheidung. ich sehe kommen, dass wir mit der weiteren ausrüstung des schiffs und mit den routinen, die wir entwickeln werden, bald in der lage sind, auch starken und stürmischen wind zu meistern. aber soweit ist es noch nicht. also bleiben wir hier und fahren mit dem zug nach danzig.

wir sind auch nicht die einzigen, die mit einem schaden eingelaufen sind. zwei boote weiter liegt eine yacht, bei der oben im mast die elektronik abgeweht wurde. der radarreflektor hängt nur noch an einer halterung vom achterstag, eine antenne im top ist verbogen. noch ein boot weiter flattert ein stück der gerissenen genua im wind.

vielleicht führte diese reise von beginn an bis zu diesem punkt. eine verkettung von zeichen und schicksal. in peenemünde nämlich lief nach einer heftigen schauerbö eine polnische segelyacht ein, das vorsegel übel zerrissen. "It was a gusty day", meinte dazu einer der crew. vorzeichen.

07. Aug. 2012

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