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Fast Rückseitenwetter
Nach einer letzten unbequemen Nacht, in der der Wind durch die Wanten heulte und das Boot im stürmischen Nordwind an den Leinen tanzte, wachte ich morgens auf -- weil der Wind noch einmal zugenommen hatte und Regen auf die Luke prasselte. So sieht eigentlich keine Rückseite aus. Wenn ein Tief durchgezogen ist, findet sich auf der Rückseite des Tiefs meist blauer Himmel und starker, aber nicht mehr stürmischer Wind aus Nordwest bis Nord, je nachdem auf welcher Höhe relativ zum Zentrum des Tiefs man sich befindet. Der Regen zog aber bald ab, nur eine Schauerbö (wobei die Schauerböen hier deutlich mächtiger und ausgedehnter sein können als auf der Ostsee), und am späten Vormittag flaute der Wind endlich ab auf fünf bis sechs Beaufort. Liten Kuling. Nach dem Sturm erschien uns das nicht mehr als Obergrenze, bei der wir noch segeln wollen, sondern als guter Wind, zudem von hinten. Jedenfalls bis wir aus dem Hafen gefahren waren und die aufgewühlte See mit hohen, von Gischt bekränzten Wellen sichtbar wurde.
Erstmal aber fuhren wir an die Tankstelle. Denn das Anlegen unter Segeln drei oder vier Tage zuvor war weniger selbstgewählt als von einem Ausfall des Motors erzwungen gewesen. Schon als der Motor kurz nach dem Setzen des Großsegels, dreißig, vierzig Meilen vor Fedje, einfach so aufhörte zu laufen, und dann auch nicht mehr richtig anspringen wollte, hatte ich kurz über Ursachen nachgedacht. Allerdings nur kurz, weil dann recht bald der Wind auffrischte und unser Landfall unter Segeln geplant und vorbereitet werden musste, während wir mit hohen, seitlich anlaufenden Wellen zu tun hatten, außerdem mit einem permanenten Monitoring der Windrichtung und -stärke, von der die Möglichkeiten des Einlaufens und Anlegens unter Segeln in Fedje ja maßgeblich abhingen. Die Problemanalyse musste also warten.
Kurz nach unserer Ankunft in Fedje hatte sich unser Missgeschick mit dem Motor und unsere erzwungene kleine seglerische Meisterleistung -- Anlegen unter Segeln bei fünf bis sechs Beaufort -- schon herumgesprochen. Es war Samstag Nachmittag, deshalb gingen wir den langen Weg um die Bucht herum ins Dorfzentrum, um noch etwas einzukaufen. Auf dem Rückweg begegnete uns ein Mann auf dem Fahrrad, der uns ansprach. Der Segler, der am Morgen mit den Leinen geholfen hatte, habe ihm erzählt, dass wir ein Problem mit dem Motor hätten und deshalb unter Segeln reingekommen seien. Er könne uns gerne mit dem Dinghy rausschleppen, wenn wir weiter wollten.
Erst war ich ein wenig überrascht. Wir waren doch gerade erst angekommen und wollten gar nicht wieder raus. Freundlich lehnten wir sein Angebot ab und bedankten uns, und unser Plan, das Sturmtief in Fedje abzuwettern, leuchtete ihm auch ein. Später am Tag verstand ich dann sein Angebot besser. Nach unserer Ankunft hatte sich das Wetter wieder gebessert, es herrschte bester Segelwind, vier bis fünf Beaufort aus Nord, dazu Sonne, am Himmel nur kleine Kumuluswolken, die eine (noch) stabile Luftschichtung anzeigten. Erst am Abend zogen dann die ersten hohen Cirruswolken, Vorboten des Tiefs, am Himmel auf. Und es wäre ganz vernünftig gewesen, mit einem Motorproblem, das professionelle Hilfe erfordert, in eine größere Stadt, also nach Bergen, zu fahren. Zeitlich hätte das dicke gereicht. Ganz abgesehen davon dass der Wind weiter im Inland bei weitem nicht so stark wehen würde wie draußen auf der exponierten Insel Fedje in der offenen norwegischen See.
Im Lauf der drei Tage lernten wir den netten Nachbarn bei ein paar Pläuschen auch noch etwas kennen. Sein Boot, oder eigentlich: Schiff lag dreißig Meter entfernt an einem Schwimmsteg, ein altes Fischerboot mit einem hölzernen Rumpf, Eiche, sauber lackiert, und einem Aufbau aus Aluminium, wo er mit seinem Sohn gerade dabei war, die alten Laderäume und Arbeitsdecks zu mehreren Appartments auszubauen. Wände waren allerdings noch keine gezogen und alles war ziemlich in der Hauptphase. Überall standen oder lagen Werkzeuge, in der Mitte des Arbeitsdecks hatten sie eine große Werkbank aufgestellt. Die Decke war schon verlegt, darunter auch Kabel und andere Leitungen, wie er uns bei einem Besuch erklärte.
Schon beim ersten Besuch -- er kam bei uns vorbei, nachdem er selbst aus dem Dorf zurückgekehrt war -- erzählte er uns ein wenig von sich und seinem Leben. Vor der Geburt seines Sohnes (der in dem Moment neben ihm stand) war er mit seiner Frau auf die Insel Fedje gezogen und hatte dort das Fabrikgebäude gekauft, wo jetzt der Gästesteg ist, an dem Aimé auch lag. Dort hatte er die Zinnfigurenfabrik eingerichtet, die schon sein Großvater gegründet hatte und die bis dahin an einem anderen Ort gewesen war. Das Gebäude ist groß und das Unternehmen muss wirklich eine major operation mit vielen Mitarbeitern gewesen sein. Vor einigen Jahren aber hatte einer der größten Kunden der Fabrik entschieden, die Produktion seiner Figuren nach Thailand zu verlagern. Ein Konkurs konnte durch Entlassungen abgewendet werden, aber richtig erholen wollte sich das Geschäft nicht. Vor ein paar Jahren wurde das Fabrikgebäude dann verkauft, die Familie zog zurück aufs Festland nach Bergen. Was er jetzt genau macht, abgesehen von der Bootsrenovierung, wurde nicht klar. Der Mensch sprudelt vor Ideen und Einfällen, und das Gespräch und seine Erzählung verlief herrlich assoziativ, sodass ich jetzt keine kohärente Lebensgeschichte erinnere, bei der eines aus dem andern hervorgeht und die späteren Lebensphasen und -handlungen in den früheren ihre Ursachen finden, sondern eben: viele verschiedene Tätigkeiten, die sich zum Teil überschneiden, parallel laufen, abhängig sind voneinander oder unabhängig. Das Bauen und Arbeiten jedenfalls war ein wichtiger Baustein, egal ob in der Fabrik oder an einem seiner Boote. Neben dem Fischkutter besitzt die Familie noch eine große, alte, hölzerne Segelyacht und diverse Dinghies. Die Segelyacht liegt auch in Fedje, ein wunderschönes Schiff, das wir bei einem Spaziergang aus der Entfernung sahen. Bestimmt gute zwanzig Meter lang, elegante Linien, die Yacht eines edlen Herrn mit Geschmack, gebaut von einer Werft, die ihr Handwerk verstand.
Harald -- seinen richtigen Namen kenne ich nicht, irgendwie scheint man das hier nicht so zu machen mit der namentlichen Vorstellung, das ging mir auch schon bei anderen Begegnungen so -- bot uns auch an, den Kontakt zu einem Schiffsmaschinisten herzustellen, der auf der Insel lebt, falls unser Problem für uns selbst nicht lösbar sein sollte. Am nächsten Tag, der Wind blies erst mit sechs bis sieben Beaufort aus Süd und das Boot lag noch vergleichsweise ruhig an seinem Molenplatz, machte ich mich schließlich an den Motor. Zwei Möglichkeiten für die Ursache kamen nach meinem Wissen von der Technik und dem Zustand der Teile in Frage. Abgesehen also von allen tausend möglichen anderen Ursachen, die von Teilen herrühren könnten, die ich gar nicht kenne. Der Motor war nämlich bisher immer ein Teil vom Boot, das ich eher gemieden habe. Zumindest im Vergleich mit all den anderen Teilen (und das betrifft fast das gesamte Boot), die ich auf die eine oder andere Weise entweder selbst gebaut oder schonmal zerlegt und wieder zusammengebaut habe. Einen Ölwechsel habe ich mal gemacht, inklusive Ölfilterwechsel, und den letzten Ölwechsel leider viel zu spät, entsprechend einem doppelten Wartunsintervall zweihundert Betriebsstunden nach dem vorherigen Ölwechsel. Ganz zu Anfang habe ich den Dieselfilter gegen ein neues Modell getauscht und bei der Gelegenheit die Kraftstoffleitungen erneuert. Allerdings nicht daran gedacht, einen Absperrhahn einzubauen, weshalb der Dieselfilter nur bei niedrigem Stand im Tank gewechselt werden kann. Besonders fatal, wenn der Filter bei etwas höherem Tankstand blockiert. Jedes Jahr lasse ich das Wasser aus dem Kühlkreislauf, öffne das Gehäuse der Wasserpumpe und schmiere die zugehörigen Teile. Den Luftfilter habe ich auch zu Anfang gewechselt, also vor etwa zehn Jahren. Außerdem musste ich einen neuen Kühlwasserfilter einbauen, kurz vor der Reise, und bei der Gelegenheit hab ich auch die Kühlwasserleitungen bis zur Pumpe ausgetauscht, weil die viel zu lang waren und einen sehr großen Durchmesser hatten. Dafür hab ich Waschmaschinenschlauch verwendet, und auch da frage ich mich, ob das eine gute Idee war. Ist Waschmaschinenschlauch seewasserbeständig und ölbeständig?
Neben den beiden möglichen logischen Ursachen hatte ich also auch meine eigenen Basteleien als mögliche Ursache in irgendeiner verqueren Form im Kopf. Wahrscheinlicher aber als Kühlwasser- oder Ölsachen war beim beobachteten Absterben des Motors ein Problem bei der Dieselzufuhr. Die musste unterwegs irgendwie unterbrochen worden sein. Und dafür gab es zwei mögliche Gründe: Entweder hatte der Motor bei den hohen Wellen Luft gezogen. Das wäre das einfachste Problem, dann müssten einfach nur die Leitungen entlüftet werden. Oder aber die Schaukelei hatte jetzt endlich all den Bioschlamm so gut aufgewirbelt, dass der Filter sich zugesetzt hatte. Dann wäre neben dem Austausch der Filter auch eine gründliche Säuberung von Tank und Leitungen angefallen.
Laut meinen Berechnungen befanden sich noch fünfzig Liter im Tank. Also etwa ein Viertel voll. Hatte ich mich wirklich so verrechnet und der Sprit war doch alle? Schließlich hatten wir die Heizung häufiger als sonst angemacht (Normaltemperatur 10-15 Grad, am Tag!), und auch der Motor war meistens mit mehr als den sonst üblichen 2000 Umdrehungen gelaufen, um gegen Strömung, Wind und Wellen anzukommen, in schmalen Durchfahrten oder wenn wir auf See in die Flaute kamen. Aber fünfzig Liter? Und das, obwohl sonst meine Berechnungen immer einen höheren Verbrauch angenommen hatten als dann tatsächlich anfiel? Aufklärung brachte eine geometrische Zeichnung. Also erstmal Spritstand im Tank messen. Dafür haben wir leider kein elektronisches Instrument, sondern müssen jedes Mal die Inspektionsklappe aufschrauben (zwanzig kleine Schrauben) und dann ein kleines Stück Messlatte in den Tank hinunter lassen. Aber gut. Machte ich, und in der Tat: ~50 Liter, give or take. Also Bioschlamm? Ich baute den Feinfilter ab, fand dort aber rein gar nichts, nicht mal Spuren. Und wenn Bioschlamm die Ursache wäre, müssten doch dort wenigstens Spuren sichtbar sein? Ätzende Arbeit. Diesel auf den Händen. Diesel in der Bilge. Dieselgeruch im Boot. Und gleichzeitig toll. Endlich bekam der Motor die Aufmerksamkeit, die er schon längst hätte bekommen müssen. Weil nicht nur dass er einfach ausgegangen war, seit mehreren Tagen schon leckte am Ventil zur Entwässerung das Kühlwasser, tropfenweise nur, also nicht bedrohlich, aber eben doch. Am Motorkörper kristallisierte das Salz aus, und jeden Morgen vor Abfahrt lenzte ich einen Schwamm mit Wasser aus der Motorbilge.
Aufschluss brachte eine geometrische Zeichnung. Ich wollte wissen, wie sehr das Boot mit fünfzig Litern im Tank krängen muss, damit der Kraftstoffauslass am Tank in der Luft hängt. Ergebnis: 18 Grad. Da war ich ziemlich erstaunt. Weil: Zwanzig Grad krängen wir bei leichtem Wind um überhaupt loszufahren. Okay, nicht ganz so krass. Aber bei vier bis fünf Beaufort krängen wir locker zwanzig bis dreißig Grad. Und wenn das Boot von 1,5 bis zwei Meter hohen Wellen von der Seite geschubst wird, dann legt es sich locker soweit auf die Seite, gefühlt noch deutlich mehr. Und in der Tat hatte ja schon eine gute halbe Stunde vor dem Segelwechsel der Wind aufgefrischt, waren die Wellen höher und stärker geworden. Und hatten wir den richtigen Zeitpunkt zum Segelsetzen, weil Nacht und Dunkelheit und erschöpft, verpasst. Nicht schlimm, dachte ich da in der Nacht, ist kein Problem, ich muss Lea nicht früher wecken als im Wachplan festgelegt, und wir machen unsere fünf Knoten Fahrt auch jetzt. Situation ist stabil. Fehleinschätzung.
Beim Entlüften der Leitung kam dann auch ordentlich Luft. Die hatte der Motor gezogen. Die halbe Stunde im auffrischenden Wind hatte er noch die Reste aus der Leitung gezogen, bis dann eben irgendwann Luft kam und nichts mehr ging. Jetzt also entlüften, schön nach Handbuch. Und dabei die Reihenfolge falsch hingekriegt und erst am Feinfilter direkt am Motor, danach am Grobfilter entlüftet, der noch vor dem Feinfilter sitzt. Also nochmal am Feinfilter Diesel durch die Entlüftungsschraube gepumpt, bis sicher keine Luft mehr in der Leitung war. Bis dahin hatte ich die Prozedur auch schonmal gemacht, nach dem Wechsel der Filter vor Beginn der Reise. Damals hatte das gereicht und der Motor war nach wenigen Umdrehungen mit dem Anlasser wieder angesprungen. Also erster Startversuch. Funktioniert nicht. Im Handbuch steht, dass als nächstes die Hochdruckleitungen von der Einspritzpumpe zu den Zylindern einzeln entlüftet werden sollen, und zwar indem man jeweils eine Leitung abschraubt, den Motor mit dem Anlasser dreht und dann die Schraube zudreht, sobald Diesel austritt. Prima. Die Schraube geht kaum ab, ist noch komplett beschichte, die hat noch nie jemand abgemacht. Es braucht ordentlich Kraft auf dem Schraubenschlüssel, um sie loszumachen. Aber was sein muss, muss sein. Dann starten wir den Anlasser. Lassen ihn zehn Sekunden laufen, aber es kommt kein Diesel. Lassen ihn eine halbe Minute laufen, aber es kommt kein Diesel. Kann man den Motor überhaupt so lange mit dem Anlasser drehen, ohne dass er wegen fehlender Schmierung kaputt geht? Anruf beim Experten in der Familie: "Ja, kann man, müsste aber eigentlich nach ein paar Umdrehungen was kommen. Sonst musst Du halt noch den Zulauf der Pumpe entlüften. Oder die russische Methode, die Einspritzpumpe am Anschluss der Zylinderleitungen mit Diesel füllen."
Ich beschreibe die Leitung vom Feinfilter zur Einspritzpumpe und den Anschluss der Leitung an der Pumpe. "Das ist doch eine Entlüftungsschraube!" Schön wär's, steht aber nichts von im Handbuch. Da steht nur: Feinfilter entlüften, und dann die Nummer mit der Hochdruckleitung. Auf dem Rechner habe ich noch ein Handbuch für unseren Motor, das sich an den professionellen Mechaniker richtet. Dort sind alle Teile des Motors nochmal genauer beschrieben. Und in der Tat ist dort die Schraube an der Leitung vor der Pumpe als Entlüftungsschraube aufgeführt. Warum in aller Welt nicht im Nutzerhandbuch? Wenn da das Entlüften der Leitungen bis zur Hochdruckleitung nach der Pumpe beschrieben ist?
Das Entlüften mit dieser letzten Schraube bringt jedenfalls den erhofften Heilungseffekt. Weitere Aktionen mit den Hochdruckleitungen sind dann gar nicht mehr nötig. Der Motor stottert kurz, als würde er Anlauf nehmen, dann läuft erst ein Zylinder, bald auch die zwei weiteren. Noch ein paar kurze Stotterer und alles läuft wieder bestens, wie bekannt. Ich höre auf jede kleinste Unwucht, jedes kleinste Geräusch, jede Abweichung vom Rhythmus, aber alles steht durch. Wir lassen den Motor eine halbe Stunde laufen. Ich bin froh, dass das funktioniert hat. Noch am gleichen Abend nehme ich mir das undichte Ventil vor, baue es aus, lerne die Konstruktion kennen, die glücklicherweise sehr einfach ist. Leider aber auch sehr fehleranfällig. Ein Konus mit einem Loch durch wird von einer Schraube mit Sprengring in place gehalten. Diese Sicherungsschraube muss also so fest angezogen sein, dass die Spannung des Sprengrings ausreicht, um Hülle und Innenteil so gegeneinander zu pressen, dass kein Wasser durchkommt. Damit das Teil aber als Ventil funktioniert, muss gleichzeitig die Spannung gering genug sein, dass man den Hebel noch drehen kann. Dafür ist der Sprengring da. Und der ist, nach dreißig Jahren, leider ziemlich verwittert und gar nicht mehr geeignet für die richtige Spannung. Weil dieses Ventil nur für die Entwässerung gebraucht wird und das, so hoffe ich, erst wieder zum Einwintern passiert, ziehe ich die Sicherung einfach so fest, dass kein Wasser mehr austritt. Bewegen kann man das Ventil nur, wenn vorher die Schraube wieder gelockert wird. Nicht so komfortabel, nicht optimal, aber jedenfalls dicht.
Der Motor und mein Verhältnis zum Motor sind also wieder gut in Schuss, als wir die Leinen lösen, um zur Bootstankstelle zu fahren. Wir wollen vor der Abfahrt den Tank füllen, damit uns nicht wieder Luft in die Leitung kommt. Der Kai, an dem die Zapfsäule steht, ist ziemlich räudig, nur mit alten Reifen behängt, wie die meisten Industriekais hier in der Gegend. An einer Stelle fehlen die Reifen sogar, und als wir angelegt haben sehen wir, dass knapp oberhalb der Wasserlinie ein alter, rostiger Eisenstab aus der Wand ragt, der vorher dazu da war, einen Reifen zu stabilisieren. Ich bin froh um unsere übertrieben großen Kugelfender, die wir schon zum Abfendern während des Sturms aufgeblasen und rausgehängt haben, und die uns jetzt schön weit von der Mole fernhalten.
Wir tanken voll, natürlich. Dann geht es raus aus dem Hafen.
Wir haben vor der Abfahrt die 35er, unsere kleine Genua angeschlagen, in Erwartung von fünf Beaufort, die der Wetterdienst vorhergesagt hat. Vor der Einfahrt von Fedje ist ein recht großes, aber noch gut durch Schären und Felsen geschütztes Becken. Dort ist das Wasser ruhig (außer bei östlichen Winden), man hat aber schon einen guten Blick auf den Fjord, der zwei Seemeilen weiter nördlich ins offene Meer übergeht. Von dort aus sehen wir, wie sich an den Felsen auf der gegenüberliegenden Seite die Wellen brechen, und wir sehen die Wellen selbst von Norden nach Süden durch den Fjord laufen. Die Wellen sind hoch und haben ordentliche Schaumkronen. Wir wechseln die 35er gegen die Starkwindfock. Weil während dem Zusammenlegen immer wieder Böen ins Segel fahren, dauert die Aktion eine ganze Weile. Schließlich geht das neue Vorsegel nach oben und wir nehmen Kurs aus der Bucht raus ins offene Wasser. Der Wind zieht uns gleich gut voran, und schon bald haben wir Fedje querab, nehmen Kurs Süd, und laufen die Wellen unterm Rumpf hindurch, dass das Wasser an den Seiten hervor sprudelt. Herrliches Segeln. Die Sache ist ein kleines bisschen überwältigend, weil ich nicht ganz glauben kann, dass wir das jetzt gerade machen. Vor kurzem war hier noch Sturm und jetzt segeln wir hier? Der Himmel ist noch von Wolken bedeckt, und in Luv sehen wir den einen oder anderen Schauer über Land ziehen. Sonne gibt es nicht.
Aber schon bald gibt sich dieses Gefühl der Unsicherheit. Aimé findet gut ihren Weg, und mit der Starkwindfock sind wir sogar unterpowert, machen trotz guten Winds nur um die fünf Knoten. Also wechseln wir wieder auf die 35er. Was auch gut klappt. Inzwischen sind wir eingespielt, auch wenn sich das Boot im Wellengang mal etwas stärker bewegt. Die Arbeit auf dem Vorschiff ist gut, Aktion, es passiert was, ich schaue nach achtern, blicke in den Wind, und freue mich, dass wir mit dem größeren Segel viel besser im Wasser liegen und besser vorankommen, nicht weniger stabil als vorher, aber mit unglaublich langen Surfs, wenn zwischendurch eine Bö und eine Welle so zusammenkommen, dass sie uns zusammen ein weites Stück vorantragen.
Später kommt die Sonne und die Szenerie entwickelt sich zur klassischen Rückseite. Sonne bricht durch die Wolkenlücken, die Schauerböen werden weniger. Größere Wolken steigen über der Inselkette in Luv von uns nach oben und vereisen, verbreiten sich dann flach fast konzentrisch in Zeitlupe nach außen, ein irrer Anblick. Nur eine Schauerbö erwischt uns, recht spät, dann doch noch, und deckt uns nicht nur mit Regen, sondern auch mit Hagelkörnern ein, die eine ganze Weile auf Deck und auf der Sprayhood liegen bleiben, bevor sie schmelzen. Es ist kalt heute, unter zehn Grad, und ich trage alle langen Unterhosen, die ich habe, dazu meine polartaugliche Marinejacke.
Am frühen Abend passieren wir Bergen. Der Tidenstrom läuft mit uns, und weil der Strom in dieser Gegend so stark ist, dass wir ihn für die Fahrtplanung berücksichtigen müssen, beschließen wir, noch weiter zu fahren. Mit Sonnenuntergang erreichen wir eine kleine Bucht zehn Seemeilen südlich von Bergen. Das Ankermanöver dauert lang, weil der Anker auf dem felsigen Boden eine ganze Weile nicht greift, und als wir mit allem fertig sind ist es schon dunkel.
Am nächsten Tag stehen wir um sechs Uhr auf. Der Wind soll weiter aus Nordwest wehen, wenn auch schwächer als am Vortag. Aber weil in den inneren Schärengewässern der Wind oft anders weht als weiter draußen an der Küste, sind wir auch mit dem leichten Ostwind zufrieden, der uns am frühen Vormittag über den Korsfjord und quer über den Bjørnafjord schiebt. Für heute haben wir uns viel vorgenommen. Der Wind soll in der kommenden Nacht auf Südwest drehen und bis auf sechs Beaufort auffrischen, und wir wollen deshalb vorher eine der wenigen unausweichlich offenen Stellen an der Küste, Sletta, passieren. Gegen Mittag schläft der Wind ein und wir starten den Motor. Damit hatten wir schon gerechnet. Strömung hindert uns am guten Vorankommen und wir suchen unser Glück, weniger Strömung, ganz am Rand des Fjords. Funktioniert, anders als in den flacheren Gewässern der Ostsee, leider nur eingeschränkt, weil die Felswände so steil abfallen, dass auch am Rand der Strom durch nichts gebremst wird. Am späten Nachmittag passieren wir Leirvik, und hier kentert der Strom und wir fahren plötzlich statt mit vier mit siebeneinhalb Knoten unserem Ziel entgegen.
Über die Sletta können wir segeln, aber kurz vor Haugesund schläft der Wind wieder ein. Noch immer haben wir den Strom mit uns, und beschließen deshalb, durch den schmalen Haugesund noch weiter zu fahren, bis es dunkel wird. Und landen schließlich in Kopervik, einer Kleinstadt mit etwa siebentausend Einwohnern, wo wir auch jetzt noch liegen. Den ganzen Tag hat es geregnet und aus Südwest geblasen, sodass ein Vorankommen zwar möglich, aber unglaublich mühsam gewesen wäre. Und wir brauchen unsere Kraft für die anstehenden langen Phasen, die uns wieder raus auf die Nordsee führen werden. Einige Nachtfahrten stehen an. Im besten Fall schaffen wir es von hier aus um Kap Lindesnes bis Mandal ohne Zwischenstopp, um dann von dort aus schon bald in Richtung Skagen aufzubrechen. Die Reise nähert sich wirklich ihrem Ende, und es ist ein merkwürdiges Zwischenstadium, in das mich dieser Umstand bringt. Ich bin fokussiert auf die Fahrt. Freue mich auch auf die Herausforderung, jetzt nochmal länger über See zu fahren. Gleichzeitig ist das alles auch sehr arbeitsintensiv und mühsam, und ich will bald ankommen. Und mich andererseits vorher nochmal gut erholen, nicht so bald losfahren. Noch ein wenig von Norwegen, von der Gegend hier sehen, nachdem wir in den letzten zwei Wochen fast nur unterwegs waren.
Der Wind hat inzwischen auf West gedreht. Für morgen sind noch starke Westwinde angesagt, sechs Beaufort, in Böen sieben bis acht. Deshalb können wir erstmal nur einen kurzen Schlag machen. Vorgesehen haben wir Tananger oder die Insel Rott. Dort enden die Schären des Westlands und wir müssen ein langes Stück Küste auf See entlang segeln, bevor es dann quer übers Skagerrak geht. Mit etwas Wetterglück ist das in einigen Tagen zu schaffen. Es kann aber auch länger dauern. In jedem Fall haben wir uns vorgenommen, nur dann zu segeln, wenn wir uns sicher sind, dass wirs gut hinkriegen, und uns nicht von Termindruck zu falschen Entscheidungen drängen zu lassen. Klar ist: Gegenan geht nicht. Und sieben Beaufort sind die Grenze. So und so sind die Tage und Nächte übers Meer meist Heavy Metal. Inzwischen haben wir aber auch schon einiges erlebt, sodass mich die anstehenden Fahrten nicht schrecken. Das Boot ist robust, und wir sind es inzwischen auch.

12. Aug. 2016

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