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Am frühen Morgen, als ich aufwache, ist es draußen noch dunkel. Es ist sieben
Uhr, Sonnenaufgang ist um halb neun. Ich schalte die Heizung an und lege mich
nochmal hin. Seit ich extra für diese Reise einen Kohlenmonoxidwarner besorgt
habe, traue ich mich, die Heizung auch laufen zu lassen, wenn ich in der Koje
liege. Allerdings sollte ich wahrscheinlich den Warner nicht unter einem
Haufen schmutziger Wäsche vergraben..
Um acht wache ich zum zweiten Mal auf. Geplant ist, dass ich um neun Uhr
ablege, damit ich rechtzeitig um zwanzig nach drei an der Brücke in Stralsund
bin. Ich freu mich auf einen Drink und was warmes zu essen in der älstesten
Hafenkneipe der Welt. Und der Wind weht aus Südwest, das bedeutet einmal quer
über den Greifswalder Bodden kreuzen, dann am Wind durch den östlichen
Strelasund, und durch die Schlangenlinien nochmal kurz kreuzen. Das braucht
Zeit.
Um neun Uhr wache ich zum dritten Mal auf. Bin gar nicht überrascht. Will
einfach nur liegenbleiben. Überlege kurz, ob ich das Treffen in Stralsund
woanders hin verlegen kann, nach Sassnitz, oder nach Greifswald, einen Ort
jedenfalls, wo ich erst morgen hinfahren kann. Aber was soll's. Ich bin schon
oft durch die Dunkelheit gesegelt, und die Gegend hier kenne ich gut. Jetzt im
Winter ist auch niemand sonst unterwegs, und Fischernetze habe ich auch noch
keine gesehen. Die Brücke geht um zwanzig nach fünf nochmal auf. Also reicht
es doch, wenn ich um elf ablege.
Um elf Uhr -- wache ich nicht zum vierten Mal auf, sondern lege tatsächlich
ab, nachdem ich freundlich die angebotene Hilfe abgelehnt habe. Was mit einem
Satz quittiert wurde, den ich immer noch nicht ganz verstanden habe: "Man
sollte jetzt auch nicht ins Wasser fallen." Wie ist das gemeint? Dass die
helfende Person Gefahr läuft, ins Wasser zu fallen? Dass ich vielleicht ins
Wasser falle, wenn jemand mir hilft? Oder wirklich als ganz allgemeiner Satz,
dass man in wenige Grad warmes Wasser besser nicht fallen sollte, weil die
lebensnotwendigen Organe nach weniger als zehn Minuten ihren Geist aufgeben,
vorausgesetzt man hat eine Rettungsweste an und ist nicht vorher schon
ertrunken, weil die Muskeln sofort krampfen?
Meine Überlegung zum Liegeplatz hat sich jedenfalls gelohnt. Der Wind drückt
das Boot weg vom Steg. Ich starte den Motor, lege das Boot in die Vorspring.
Es braucht schon ordentlich Druck vom Motor, um sich am Steg zu halten. Dann
nehme ich die restlichen Leinen ab, steige an Bord, nehme einmal Gas weg, löse
die Vorspring und los geht's. Fender und Leinen verstaue ich, während wir noch
im Hafenbecken treiben.
Es weht in Böen schon recht ordentlich, deshalb habe
ich vorhin am Steg die Starkwindfock angeschlagen und das Großsegel ins zweite
Reff gesetzt. Angesagt sind vier Beaufort, zunehmend
fünf bis sechs. Lieber etwas langsamer starten und einen Segelwechsel sparen.
Ausreffen geht außerdem recht schnell. Aber schon auf dem Weg zum
Fahrwasserausgang (ich fahre vom Hafen bis zum Ausgang unter Motor, weil der
Wind direkt von vorne kommt und an einer Stelle am Ausgang zum Bodden recht
wenig Platz zum Kreuzen ist) kommen Zweifel. Besser wäre wohl das größere
Amwindsegel gewesen. Ich setze trotzdem das kleine Vorsegel und setze das Groß
direkt ins erste Reff, anstatt ins zweite. Damit machen wir ausreichend Fahrt,
vier bis fünf Knoten. Ich bin allein und es ist okay, eher defensiv zu fahren.
Blöd nur, dass die Brückenwärter darauf keine Rücksicht nehmen. Es ist 13 Uhr,
als ich die erste Wende mache. Noch etwa neun Meilen direkt gegenan liegen vor
mir, was etwa 13-14 Meilen gesegelte Strecke bedeutet. Danach nochmal gut zehn
seemeilen bis Stralsund. Am Morgen habe ich etwas über optimism bias
gelesen. Demnach sieht mensch die Zukunft meist eher positiv, und Zeichen, die
auf Besserung deuten, werden stärker gewichtet als solche, die Probleme
ankündigen. Besonders vorteilhaft ist dieser Optimismus nicht. Jedenfalls
nicht für mich, mitten auf dem Bodden, bei der Kopfjonglage mit Optionen und
einem kürzer werdenden Zeitbudget.
Ich versuche also realistisch zu werden. Wind kommt von vorne, wir fahren eher
vier als fünf Knoten, ich bin fit, aber kann mich nicht ewig warmhalten, zumal
die Kälte auf Amwindkurs nochmal stärker reinhaut als auf anderen Kursen. Zwei
Möglichkeiten bieten sich an: zurück nach Wieck fahren und entweder vor dem
Hafen ankern oder in den Hafen gehen. Nach Wieck sind es etwa zehn Seemeilen,
die wir am Wind anliegen können. Zweieinhalb Stunden, bis Sonnenuntergang zu
schaffen. Zweite Option: In den Strelasund einfahren und sehen, wie weit ich
komme. Die erste Anlaufmöglichkeit in dieser Richtung ist Stahlbrode, danach
gibt es noch eine Bucht, die zwar sehr weitläufig ist, bei Südwestwind kann
man dort aber durchaus gut ankern.
Entschieden werden muss das erst nach der nächsten Wende. Also schalte ich
den Autopiloten aus, um selbst eine Weile zu steuern und etwas ruhiger zu
werden. Was soll schon passieren. Im schlimmsten Fall wird es dunkel, der Wind
frischt auf, der Motor springt nicht an, aber was solls? Ich kenn mich doch
aus hier im Revier!
Ich werde etwas ruhiger, nachdem ich mir konkret vorgestellt habe, dass es
dunkel wird und was dann zu tun ist. Lichter einschalten, Navigation häufiger
checken, konzentriert weiterfahren bis zum nächstmöglichen Ziel. Als ich mich
schon freue über den schönen Tag -- denn es ist ein wunderbarer Segeltag, nur
schade, dass er so kurz ist -- und den guten Plan, bis Sonnenuntergang
wenigstens Stahlbrode anzulaufen, wird der Wind deutlich weniger. You gotta
be kidding me. Aber in Luv färbt sich das Wasser schon wieder dunkler und
nach einer Viertelstunde legt sich Aimé wieder auf die Seite, nimmt Fahrt auf
und weiter geht es. Am Osteingang Strelasund muss ich sogar das Großsegel ins
zweite Reff setzen. Wie üblich weht es hier mit einer guten Windstärke
heftiger als auf dem Greifswalder Bodden. Macht aber nichts, bringt uns gut
voran. Nach zwei weiteren kurzen Schlägen biegen wir in den Strelasund ein.
Der Wind hat etwas weiter südwestlich gedreht, sodass wir Stahlbrode gut
anliegen können. Und mit einem Schrick in den Schoten beschleunigt das Boot
auf konstant sechs Knoten. Yes. Die Sonne nähert sich dem Horizont. In der
Planungsphase am früheren Nachmittag war ich unsicher, ob die Sonne nicht
vielleicht erst um halb fünf untergeht. Irgendwie hatte ich das doch in den
Grib-Daten gelesen, 15.25 UTC, als kurz vor halb fünf hiesige Zeit. Aber das
wäre schon sehr spät, gestern war es schließlich um fünf stockfinster. Weil
ich zwar ein Telefonsignal habe, aber keine Daten empfangen kann, schreibe ich
schnell eine Nachricht an A., der sowas immer gleich schnell nachschauen kann.
15.51 MET ist die Sonne weg.
Aber jetzt ist das kein Problem mehr, die Ankunft ist absehbar, mit dem guten
Speed sind wir in einer Stunde da, etwa zwanzig Minuten nach Sonnenuntergang.
Ich stelle mich entspannt ins Cockpit, das Boot fährt und ich schaue den
Wellen zu, den Wolken, halte mein Gesicht in die Sonne. Der Himmel hat
aufgeklart, nur in der Ferne hängen ein paar Schleierwolken, die später, als
die Sonne weg ist, noch lange ihr rotes Licht reflektieren.
Um kurz nach vier passieren wir Stahlbrode. Hier wollte ich immer mal einen
Stop machen, einfach, um den Hafen zu sehen. Aber vielleicht muss das auch
nicht heute sein. Zwei Böller, die irgendwo an Land explodieren, erleichtern
die Entscheidung. Bis zur Ankerbucht sind es nocht etwa zwei Seemeilen. So
dicht unter Land segelt das Boot zwar nicht mehr so schnell, aber in einer
halben Stunde sollten wir das schaffen, und solange, schätze ich, leuchtet uns
die Dämmerung noch mit einem Rest Licht.
Um kurz nach halb fünf fällt der Anker auf drei Metern Tiefe. Leider sehr weit
weg vom Ufer, wie ich später auf dem Kartenplotter nachmesse. Da war ich wohl
etwas zu vorsichtig. Vor drei Jahren sind wir im Strelasund mal auf einen
Stein gefahren, seitdem bin ich, was die Ufer hier angeht, etwas vorbelastet.
Deshalb liegen wir jetzt gut vierhundert Meter vom Ufer weg. Was aber nicht
schlimm ist, flach genug zum guten Ankern ist es trotzdem. Und immerhin sind
wir näher am Ufer als an der Fahrrinne. Abenteuerlich ist es dennoch. Vor
Anker, im Winter, bei winterlichem Südwestwind mit vier bis fünf Beaufort. Und
vor einer Woche etwa saß ich noch im gut geheizten Büro am Schreibtisch, und
lag in meinem warmen Bett in einer warmen Wohnung, saß auf einem blauen Sofa,
lief durch die Straßen mit festem Untergrund. Hier? Nur Wasser, Dunkelheit,
Wind, der in den Wanten pfeift, draußen beim Blick nach oben die Sterne so
hell, dass die Milchstraße gut zu erkennen ist, das Gluckern der Wellen am
Rumpf, wenn das Boot sich dreht, das Rauschen der Heizung und der sirrende Ton
des Windgenerators, der die Verbraucherbatterie laden muss, weil ich das
Ankermanöver ohne Motor gemacht habe. Es geht schon. So geht es schon.
Später dann, nach dem dringend notwendigen Essen, E-Mail vom Hafenamt
Greifswald: Die Brücke in Wieck öffnet wieder ab dem 2.1. Ich soll mich
anmelden, wenn ich durch will. Das ist doch absehbar. Denn das ist noch eine
Erkenntnis (die ich schon wusste, aber, eben, optimism bias): Segeln im
Winter ist unglaublich anstrengend. Ich freu mich auf den Jahreswechsel an
Bord, aber danach gehts zurück in die Box und das Boot wird wirklich
eingewintert.
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